Arbeit von zu Hause? Homeoffice verändert unser Mobilitätsverhalten, Verkehrsunternehmen müssen sich anpassen

von Max Bopp, Hendrik Koch und Christina Plotz

 

Seit der Corona-Pandemie arbeiten mehr Menschen im Homeoffice als je zuvor. Das verändert das Mobilitätsverhalten und hat massive Auswirkungen auf den öffentlichen Verkehr. Worauf müssen sich Verkehrsunternehmen in Zukunft einstellen? Hier beleuchten wir die Zusammenhänge anhand von drei Thesen genauer.

Bereits seit Jahren arbeiten diverse Sektoren daran, die Treibhausgasemissionen zu senken und aktiv zum Klimaschutz beizutragen. Das Corona-Jahr 2020 hat gezeigt, dass der Verkehrssektor die politischen Vorgaben nur unter besonderen Umständen einhalten kann. Entgegen den Prognosen erreichte Deutschland sein jährliches Klimaziel unter anderem deswegen, weil durch den ersten Lockdown im Frühjahr die Mobilität stark heruntergefahren wurde. Auch im Jahr 2021 könnte es eine ähnliche Entwicklung gegeben haben, jedoch sind die Emissionen absolut ggü. 2020 wieder gestiegen.

Homeoffice wird plötzlich zur Normalität

Neben der Reduzierung von Freizeitverkehr haben Erwerbstätige einen starken Anteil an dieser Entwicklung. Viele von ihnen mussten mit Beginn der Pandemie ihren Arbeitsplatz nach Hause verlagern. Das Homeoffice ist zwar keine Neuerfindung mehr, doch hat es bis zum Frühjahr 2020 für die meisten Erwerbstätigen keine Rolle gespielt.

Streng genommen kann man zwei Formen des Homeoffice unterscheiden:

  • Telearbeit
  • Mobiles Arbeiten

Bei der Telearbeit befinden sich die Beschäftigten an einem vom Arbeitgeber ausgestatteten Ort – zum Beispiel zu Hause –, der den Weg ins Büro obsolet macht.

Das Mobile Arbeiten versteht sich deutlich weiträumiger und besagt lediglich, dass Arbeitnehmende von einem flexiblen Ort jenseits des Büros arbeiten können. Unter dem Begriff „Homeoffice“ werden in diesem Artikel alle Beschäftigungen gesammelt, die durch die Corona-Pandemie nicht mehr im Büro ausgeübt werden – egal, ob in Form von Telearbeit oder Mobilem Arbeiten.

Der plötzliche Ausbruch von Sars-CoV-2 sorgte dafür, dass Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ihre Tätigkeit ins Eigenheim verlagern mussten. Den meisten von ihnen stand zu diesem Zeitpunkt noch kein Telearbeitsplatz zur Verfügung.

Im Laufe der vergangenen anderthalb Jahre hat sich die Situation hinsichtlich der Ausstattung des Home-Office verbessert. Arbeitgeber vieler Unternehmen realisierten den Bedarf an mobilen Arbeitsplätzen und stellten diese ihren Angestellten bereit, sodass Stück für Stück immer mehr Menschen die Arbeit im Homeoffice ermöglicht wurde.

Angst vor Corona-Infektion leert Busse und Bahnen – Homeoffice-Nutzung auch?

Die coronabegleitende Mobilitätsstudie Mobicor von infas zeigt, dass die ÖV-Nutzung während der Pandemie stark gesunken ist. Befand sich die Verkehrsleistung im ÖV in Deutschland vor der Pandemie noch bei durchschnittlich 635 Millionen Personenkilometern pro Tag (Daten aus der MiD-Erhebung im Mai 2017), brach sie zur Pandemie ein und schrumpfte im Mai 2020 auf 182 Millionen Personenkilometer.

Konkrete Zahlen zu den Auswirkungen von Pandemie und Home-Office auf das Mobilitätsverhalten

Im Herbst 2020 erholte sich der Wert etwas (385 Millionen Personenkilometer), die neuesten Mobicor-Daten aus dem Mai 2021 weisen allerdings wieder ein stark reduziertes Niveau von 237 Millionen Personenkilometer auf.

Die Hälfte der Befragten, die auf Fahrten mit dem ÖPNV im Mai 2021 verzichteten, gab an, öffentliche Verkehrsmittel aufgrund des vermeintlich höheren Infektionsrisikos zu meiden. Dabei wurde in mehreren Studien nachgewiesen, dass die Gefahr für eine Infektion in Bus und Bahn nicht höher ist als an anderen Orten des öffentlichen Lebens, wie in einer Übersicht des VDV dargestellt.

Auswirkungen des geänderten Mobilitätsverhaltens auf Verkehrsunternehmen

Für Verkehrsunternehmen stellt sich dadurch die Frage, wie sich die Mobilität durch den gestiegenen Homeoffice-Anteil verändert.

Im Folgenden stellen wir drei Thesen auf, wie sich die Homeoffice-Nutzung in Zukunft entwickeln und in dem Zuge die alltägliche Mobilität verändern wird. Dabei basieren die Thesen auf unserer Analyse der Entwicklungen seit Beginn der Pandemie, die von verschiedenen Studien und Befragungen erfasst wurden. Im Anschluss an jede These geben wir unsere Einschätzung ab, wie die Entwicklungen aus unserer Sicht fortschreiten werden und welche Auswirkungen dies auf Verkehrsunternehmen haben wird.

These 1: Das Homeoffice bleibt über die Pandemie hinaus Teil unseres Arbeitslebens

Durch die Coronapandemie bekam das Homeoffice eine völlig neue Bedeutung und integrierte sich für viele Arbeitnehmende neu in den Alltag. Während der ersten Pandemie-Welle im März 2020 stieg die Homeoffice-Nutzung rapide an. Arbeiteten vor der Pandemie lediglich fünf Prozent der Erwerbstätigen überwiegend oder vollständig an einem mobilen Arbeitsplatz, waren es zu Beginn der Pandemie 32 %. In den darauffolgenden Monaten pendelte sich diese Home-Office-Quote zwischen 20 und 25 % ein. Im Mai 2021 arbeitete jeder vierte Erwerbstätige regelmäßig von zu Hause aus, und das durchschnittlich an 3,7 Tagen pro Woche (BMWI, infas).

Der Homeoffice-Anteil könnte noch höher sein

Das Homeoffice-Potenzial wird jedoch nicht vollständig ausgenutzt. Laut einer aktuellen Studie von Alipour et al. (2020) könnte für 56 % aller Erwerbstätigen ein mobiler Arbeitsplatz bereitgestellt werden, wobei einkommensschwächere und ortsgebundene Berufsgruppen einen deutlich geringeren Zugang zum Homeoffice haben.

Das Potenzial deckt sich jedoch gut mit der gewünschten Homeoffice-Nutzung unter allen Erwerbstätigen – 57 % von ihnen wünschen sich, unabhängig von der Pandemie mindestens einen Tag pro Woche im Homeoffice zu arbeiten.

Klar ist allerdings auch, dass für die meisten Arbeitnehmenden ein Arbeitsleben ausschließlich in den eigenen vier Wänden keine Option ist. Eine weitere Studie von Borderstep zeigt, dass die favorisierte Homeoffice-Nutzung gemittelt über alle Erwerbstätige bei 17 % der Arbeitstage liegt.

Unsere Einschätzung:
Die Homeoffice-Nutzung wird sich im Laufe der Zeit über alle Erwerbstätige bei ein bis zwei Arbeitstagen pro Woche pro Arbeitnehmer*in einpendeln – je nachdem, wie vielen Beschäftigten in Zukunft ein Homeoffice-Arbeitsplatz zugestanden wird. Wie sich dies auf das Mobilitätsverhalten auswirkt, wird mit der folgenden These diskutiert.

These 2: Der Anstieg an Homeoffice-Arbeit reduziert die Anzahl der täglich zurückgelegten Wege

Dass der Arbeitsweg eine der Konstanten der täglichen Mobilität darstellt, wirkt sich auch auf die Anzahl der zurückgelegten Wege aus. Im ersten Lockdown 2020 sank die Wegeanzahl auf durchschnittlich 2,4 Wege pro Person und Tag. Das ist ein starker Rückgang, waren es im MiD-Bericht 2017 noch 3,1 Wege pro Person und Tag. Inzwischen hat sich dieser Wert wieder etwas nach oben bewegt, allerdings legen die Deutschen laut Mobicor immer noch zwischen 11 und 19 % weniger Wege zurück als noch vor Corona.

Sollte sich der Homeoffice-Trend wie bereits angedeutet verfestigen und mehr Erwerbstätige zu Hause arbeiten, wird sich die Wegeanzahl langfristig auf einem niedrigeren Niveau einpendeln. Die Daten aus dem Mai 2021 zeigen, dass das ursprüngliche Wegeniveau von 2017 nicht erreicht wurde, obwohl sich das Infektionsgeschehen zu dem Zeitpunkt einigermaßen beruhigt hatte.

Unsere Einschätzung:
Basierend auf der Annahme, dass Erwerbstätige zukünftig ein bis zwei Tage pro Woche im Homeoffice verbringen, wird dies auch die Wegeanzahl reduzieren. So könnten für Erwerbstätige zwischen zwei und vier Wege die Woche wegfallen. Daher gehen wir davon aus, dass eine Person langfristig im Schnitt 2,8 bis 2,9 Wege am Tag zurücklegen wird. Teilweise entstehen dabei auch zusätzliche Wege für Freizeit oder Erledigung, die Arbeitswege ersetzen.

These 3: Der Anstieg an Homeoffice-Arbeit reduziert die tägliche Verkehrsleistung von Erwerbstätigen

Ein großer Teil der täglich zurückgelegten Strecke entfällt auf Wege, die unmittelbar mit dem Arbeitsleben verknüpft sind. Vor der Pandemie absolvierten Menschen in Deutschland am Tag durchschnittlich 39 Kilometer, von denen acht Kilometer auf den Arbeitsweg und sieben Kilometer auf dienstliche Wege entfielen (MID, 2017).  Zusammengerechnet sind das fast 40 % der Tagesstrecke.

Erwerbstätige im Homeoffice haben kürzere tägliche Wegelängen

Die Nutzung des Homeoffice führt dazu, dass Erwerbstätige den Arbeitsweg seltener zurücklegen oder er bei durchgängiger Nutzung sogar vollständig wegfällt. Die Auswertung der Wegelängen im Mobilitätsreport von infas ergibt eine mittlere Wegelänge für Erwerbstätige im Homeoffice bei vier Kilometern, während Berufspendler*innen im Schnitt sechs Kilometer pro Weg unterwegs sind – ein klares Indiz dafür, dass der Weg zur Arbeit länger als der Durchschnitt ist und damit einen großen Anteil an der zurückgelegten Tagesstrecke hat.

Unsere Einschätzung:
Gehen wir von den oben angenommenen ein bis zwei Arbeitstagen pro Woche im Homeoffice aus, würden 20 bis 40 % der täglichen Arbeitswege entfallen. Damit hätte das eine im Tagesschnitt um drei bis sechs Kilometer reduzierte Strecke zur Folge. Statt 39 Kilometern würde die am Tag durchschnittlich zurückgelegte Strecke nun nur noch 33 bis 36 Kilometer lang sein, was einer Reduktion zwischen acht und 16 % entspricht.

Verkehrsunternehmen sollten sich also langfristig darauf einstellen, dass die Beförderung von Personen allgemein und damit auch in öffentlichen Verkehrsmitteln entsprechend in einem gewissen Umfang zurückgehen wird.

Homeoffice – gut fürs Klima, schlecht für den öffentlichen Verkehr?

Die Coronapandemie hat den Mobilitätssektor an vielen Stellen aus dem Ruder gebracht. Kam der Verkehr zwischenzeitlich beinahe zum Erliegen, so zeigen die neuesten Studien, dass sich die Mobilitätsmuster der Deutschen verändert haben.

Die Auswirkungen neuer Homeoffice-Präferenzen sind hierbei nicht zu übersehen. Für das Klima erfreuliche Nachrichten, denn weniger Verkehr/Verkehrsvermeidung bedeutet automatisch weniger verkehrsbedingte Emissionen.

Gleichzeitig stellt sich jedoch die Frage, inwieweit der ÖPNV von dem geänderten Mobilitätsverhalten negativ betroffen ist. Wir gehen davon aus, dass das Homeoffice ein neuer Bestandteil unseres Alltags wird – auch über die Pandemie hinaus. Aus diesem Grund vermuten wir ebenfalls eine Reduktion in zurückgelegter Strecke und bestrittenen Arbeitswegen, wodurch Verkehrsleistung und -aufkommen langfristig auf einem niedrigeren Niveau als noch vor der Pandemie sein werden.

Wird der Nachfragerückgang bei ÖPNV-Unternehmen bestehen bleiben?

Diese Veränderungen betreffen alle Verkehrsmittel gleichermaßen, nur hat der öffentliche Verkehr mit der als erhöht wahrgenommenen Infektionsgefahr und dadurch mit überproportionalen Nachfragerückgängen im Vergleich zum Individualverkehr zu kämpfen.

Die Zahlen aus verschiedenen Untersuchungen zeigen, dass individuelle Verkehrsmittel relativ gesehen die Gewinner sind. Neueste Mobicor-Daten zeigen, dass der motorisierte Individualverkehr im Mai 2021 neunmal so viele Personenkilometer zurücklegte, wie der ÖPNV – vor der Pandemie lag das Verhältnis noch bei 3:1.

Um auf die Auswirkungen der aktuellen Homeoffice-Trends reagieren zu können, müssen ÖPNV-Unternehmen die Lage stetig neu evaluieren und ihr strategisches Handeln auf die neuen Begebenheiten und Vorlieben ihrer Fahrgäste mit flexiblen Mobilitätsangeboten und Tarifprodukten anpassen.

Verkehrsunternehmen müssen sich anpassen – Mobilité unterstützt individuell

mobilité bietet mit innovativen Denkansätzen seinen Kunden die bestmögliche Beratung, damit die Anpassung an diese neuen, teils widrigen Umstände gelingt und der ÖPNV als wichtiger Bestandteil der Verkehrswende seinen Weg zum nachhaltigen Rückgrat der Mobilität beschreitet.

 

 

 

04. Februar 2022