Die aktuellen Maßnahmen zur Beschränkung der Kontakte, Schließung von Schulen, Geschäften etc. durch die Bundesländer gegen die Ausbreitung des Corona-Virus haben in kurzer Zeit starke Veränderungen für die Gesellschaft in Deutschland hervorgerufen. Das öffentliche Leben ist so schnell und umfassend eingeschränkt worden, dass man von einem „rasenden Stillstand“ sprechen kann. Dies hat – wie beabsichtigt und nicht anders zu erwarten – massive unmittelbare Auswirkungen auf die Mobilität gehabt. Ein „Zurück zur Normalität“ erscheint insbesondere für den ÖPNV auch auf längere Sicht unwahrscheinlich. Verkehrsunternehmen müssen – und können – durch entschlossene Maßnahmen auf diese Herausforderungen reagieren. Digitalisierung, Angebots-Individualisierung und auch Hygiene- und Gesundheitsaspekte werden dabei tragende Rollen spielen.
Aktuelle Daten zur Entwicklung des Mobilitätsverhaltens in der Corona-Krise
Das Verkehrsaufkommen hat sich seit Beginn der Corona-Ausbreitung in Deutschland in fast allen Bereichen (Beruf, Freizeit, Reise, …) nahezu halbiert. Der Schüler- und Ausbildungsverkehr ist durch die Schulschließungen vollständig zum Erliegen gekommen.
Erste Detailerkenntnisse zeigen jedoch feine Unterschiede:
Nachfragerückgang im ÖPNV bis zu 90 Prozent durch Corona
Die einhergehenden Auswirkungen für den ÖPNV sind besonders massiv. Nach dem Nachfragerekordjahr 2019 wird 2020 ein nicht unerheblicher Nachfragerückgang folgen (erstmals seit 15 Jahren kein Anstieg der Beförderungsleistung). In den ersten Wochen der durch Corona bedingten Maßnahmen ist ein Absinken der Nachfrage bei den meisten Unternehmen von weit über 50% zu verzeichnen – in manchen Unternehmen auch bis zu 90%. Parallel wird ein noch massiverer Einbruch der Einnahmen im Gelegenheitsverkehr (bis 80% – 90%) sichtbar, wie erste (eigene Recherchen bei Verkehrsunternehmen und Verbünden zeigen.
Reduktion der Taktfrequenzen kann die Nachfrageverluste bei Weitem nicht kompensieren
Aufgrund der Einschränkungen im öffentlichen Leben erfolgte fast überall die zügige „nachfragegerechte“ Umstellung des Fahrplans, so dass nur noch 50-70% des Angebots aus Zeiten vor Corona für die Nutzer bereitgestellt wurden. Parallel scheint auch eine Image- und Vertrauenskrise durch eine Ansteckungsgefahr bei Massen-Verkehrsmitteln hinzuzukommen. Ein Verlust von mehreren hundert Millionen Euro Fahrgeldeinnahmen wird die Folge sein. Zwangsläufig wird er in eine gigantische, an manchen Stellen wohl auch existenzbedrohende Finanzierungslücke führen.
On Demand Mobilität und Sharingdienste: Nur Bikesharing profitiert in der Corona Krise
Auch die Sharing- und On-Demand-Angebote sind massiv von Nachfragerückgängen betroffen. Die Carsharinganbieter haben nach Angaben ihres Bundesverbandes mit erheblichen Problemen durch Nachfrageeinbrüche von bis 80% zu kämpfen [5]. Ebenso sind die Flotten der eScooter-Anbieter teilweise komplett eingestellt. Und auch die großen On-Demand Anbieter (MOIA; Berlkönig) sind erheblich betroffen und reagieren mit deutlichen Angebotsreduktionen. Nur beim Bikesharing profitieren die Anbieter zum Teil vom Anstieg des Radverkehrs – und den frühlingshaften Temperaturen.
Welche absehbaren Veränderungen und Auswirkungen auf Mobilität können wir erwarten?
Der Umfang der aktuellen Nachfragekrise im ÖV hängt von drei wesentlichen Punkten ab:
Die beiden letzten Punkte sind dabei von zentraler Bedeutung. Hier zeigen erste Erkenntnisse aus China (Shenzhen), das nur 35 Prozent des Nachfragevolumen im ÖPNV (Vorjahresvergleich) 4 Wochen nach Ende des Corona Lockdowns wieder erreicht wurden. Weitere Veränderungen im Markt sind bereits jetzt sichtbar, auch wenn deren Ausmaß und Umfang sowie die Dauer noch nicht vollständig geklärt erscheint:
Auf der Ebene der Verkehrsmittel sehen wir aktuell eine Zunahme / Renaissance von (virenfreier) Individual-Mobilität, auch im Kontrast zur wahrgenommenen Ansteckungsgefahr im öffentlichen Verkehr. Dies umfasst die Zunahme des Radverkehrs, insbesondere im urbanen Umfeld, wo in einigen Städten (Bsp. Radstreifen Berlin und Bogota) bereits neue kurzfristige Infrastruktur geschaffen wird, sowie ein erhöhter Anteil an Fußwegen. Auch weitere Verkehrsmittel (private eScooter etc.) können zukünftig an Bedeutung im Mobilitäts-Mix gewinnen.
Bedeutung von Hygiene und Ansteckungsgefahr für die Verkehrsmittelwahl – wichtig auch nach Corona?
Insbesondere ist jedoch der in aktuellen Umfragen und Analysen sichtbare – zumindest kurzfristige – Anstieg/Zuwachs der Auto-Mobilität als Alternative zum Massenverkehr offensichtlich. Dies könnte ein Indiz für die „Privatsphäre / Hygiene“ als ein sehr relevantes Nachfragemerkmal sein, welches bisher noch kaum bei der Verkehrsmittelwahl systematisch berücksichtigt wurde. Falls das Corona Virus – oder auch nur die latente Sorge der Menschen vor ähnlichen Situationen in der Zukunft – über längere Zeiträume das öffentliche Leben und das Mobilitätsverhalten in Deutschland beeinflussen wird, sollten ÖPNV-Anbieter auch für diese Herausforderungen adäquate Lösungen bereitstellen.
Dauerhaft weniger Pendler und Dienstreisen durch Zunahme von Homeoffice und digitalen Meetings?
Auch auf Ebene der Mobilitätsanlässe und Verhaltensmuster gibt es bereits Indizien für nachhaltige Veränderungen. Die erzwungenen Mobilitätseinschränkungen haben nicht nur die Nachfrage verändert, sondern ihrerseits bereits die Anpassung von seit Jahren bekannten Verhaltensroutinen in verschiedenen Bereichen beschleunigt. Diese strukturellen Veränderungen in der individuellen Mobilität werden ggf. nachhaltig erfolgen:
Welche Herausforderungen sind für den öffentlichen Verkehr absehbar?
Die aktuelle Nachfrage- und Einnahmekrise wird viele unterschiedliche und tiefgreifende Auswirkungen und Konsequenzen für die Verkehrsunternehmen haben. Denn grundsätzliche Veränderungsbedarfe für die Mobilität werden nun noch offensichtlicher und schneller relevant. Dies reicht von strategischen Grundsatzfragen im Verkehrsmix, bis hin zu organisatorischen, prozessualen und instrumentellen Umwälzungen – und das in nahezu allen Funktionsbereichen des ÖPNV. Diese Entwicklung wird begleitet werden von der Frage der nachhaltigen Finanzierbarkeit (Volumen, Struktur, Solidarbeiträge oder Nutzerfinanzierung).
Fokussierung auf Kundenbedürfnisse wird für den ÖPNV – auch wegen Corona – noch wichtiger
Die absehbaren Veränderungen im Mobilitätsmarkt erfordern parallel umfassende Restrukturierungsmaßnahmen bei den Anbietern im öffentlichen Verkehr, jedoch mit Fokus auf die Verbesserung des Angebots und Optimierung der Kundenprozesse – auch unter Berücksichtigung der neuen Kundenanforderungen bezüglich der „hygienischen“ Dimension (hier lohnt auch ein Blick nach Asien, wo Schutzmaßnahmen schon sehr viel länger ein wesentliches Thema sind).
Das primäre Ziel liegt in einer umfassenden Attraktivitätssteigerung, um verlorene Kunden und neue Fahrgäste mit einem besserem und auf ihre Anforderungen passenden Angebot zu überzeugen.
Herausforderungen durch Corona: ÖPNV Unternehmen benötigen schnelle und individuelle Lösungen
Insgesamt ist die Situation nach unserer Einschätzung sehr unterschiedlich bei den einzelnen Verkehrsunternehmen und bedarf spezifischer und sehr schneller Lösungsansätze. Insbesondere muss die Kundenbindung schon in der jetzigen Krise konsequent weitergeführt und sogar intensiviert werden. Zentrale Frage ist: Welche Informationen und Botschaften müssen jetzt schon bei den Nutzern platziert werden, um in Kontakt mit den Kunden zu bleiben und die positiven Effekte des ÖPNV hervorzuheben?
Die Vorteile digitaler Systeme im Vertrieb und zu Information sind dabei in der aktuellen Ausnahmensituation schon sichtbar. Der digitale und bargeldlose Vertrieb ist wesentlich effizienter, sicherer und einfacher zu gewährleisten als der Betrieb von Automaten und Schalter, insbesondere wenn die Personalverfügbarkeit eingeschränkt ist. Auch die direkte Kundenkommunikation zu kurzfristigen betrieblichen Veränderungen geht digital wesentlich effektiver. Dies sind Ansatzpunkte für die zukünftige Ausrichtung des Angebots.
Welche konkreten (Gegen-)Maßnahmen muss der ÖPNV kurzfristig angehen?
Es besteht die einmalige Chance für den ÖPNV, die Situation des „Hochfahrens“ nach der Krise zu nutzen, um nun auch radikalere Veränderungen in der Angebotsausrichtung neu anzudenken. Wesentliche Ziele dafür sind, die Abwanderung zu stoppen, die Kundenbindung zu erhöhen und die Rückgewinnung von Fahrgästen zu ermöglichen. Dabei geht es um zwei notwendige Stoßrichtungen:
Dafür sind die folgenden strategischen Ansätze elementar und möglichst auch kurzfristig umzusetzen:
Wir stehen mit unserem Team gerne für Sie bereit, die neuen Herausforderungen mit Ihnen pragmatisch und konkret zu meistern – gerne auch digital und mit gebührendem „Social Distancing“.
Ihre Ansprechpartner für unsere kurzfristigen Unterstützungsleistungen von „Krisen-/Finanzierung-Quick Checks“, strategischen Szenarien zur Krisenbewältigung bis zum Sofortprogramm zurRückgewinnung der Fahrgäste:
Quellen:
[1]https://www.gstatic.com/covid19/mobility/2020-04-11_DE_Mobility_Report_en.pdf
[2]https://www.infas.de/fileadmin/user_upload/PDF/Tracking-Report_No1_infas-Motiontag_09042020.pdf
[3]https://www.teralytics.net/de/knowledge-hub/the-world-is-traveling-less-but-is-it-enough/
[4]https://intellicar.de/markets/corona-sorgt-fuer-veraendertes-mobilitaetsverhalten/
[5]https://carsharing.de/presse/pressemitteilungen/umsaetze-brechen-massiv-carsharing-anbieter-versuchen-dennoch
24. April 2020