Nachhaltiges Mobilitätsmanagement 2021

von Christina Plotz

Zur Arbeit pendeln, in der Freizeit ins Grüne fahren, die Wocheneinkäufe erledigen – Menschen haben sehr diverse Mobilitätsbedürfnisse, weil sich ihr Leben nicht an einem einzigen Ort abspielt. Wie kann Mobilitätsmanagement dazu beitragen, Menschen nachhaltig mobil machen?

Gemäß der bundesweiten Befragung Mobilität in Deutschland haben 85% der Deutschen im Jahr 2017 mindestens ein Mal am Tag das Haus verlassen. Im Durchschnitt legte jede Person dabei 3,1 Wege pro Tag zurück und bewegte sich täglich 39 km fort.

Auch wenn die regelmäßigen Wege durch die Corona-Pandemie in 2020 und 2021 stark eingeschränkt wurden, weisen erste Untersuchungen darauf hin, dass Menschen zwar weniger aber trotzdem weiterhin mobil waren. Bereits im Oktober nutzten fast 20% der Menschen Bus und Bahn wie zuvor.

Durch die zurückgelegten Wege entsteht Verkehr, der im Kontext von Klimawandel und Umweltschutz im Interesse zukünftiger Generationen möglichst nachhaltig zu gestalten ist. Das bedeutet, die Wege einerseits so kurz wie möglich zu gestalten und sie andererseits umweltschonend zurückzulegen, also zu Fuß, mit dem Fahrrad, per Bus und Bahn oder mit dem E-Auto.

In diesem Kontext setzt nachhaltiges Mobilitätsmanagement an, um Anreize zur umweltverträglichen Mobilitätsveränderung zu setzen. Im Folgenden erklären wir die Potenziale von Mobilitätsmanagement anhand von Beispielen aus den Bereichen Wohnen, Arbeit und Freizeit.

Mobilitätsbedürfnisse nachhaltig beeinflussen

Grundsätzlich dient nachhaltiges Mobilitätsmanagement als Instrument, mit dem die räumliche Bewegungsnachfrage beeinflusst werden kann. Ziel ist dabei, die Verkehrsnachfrage so zu lenken, dass Mobilität mit nachhaltigen, umweltverträglichen, aber auch effizienten Verkehrsmitteln ausgeübt wird. Dazu gehört neben der Schonung der Umwelt auch die soziale Verträglichkeit bei verhältnismäßigem finanziellen Aufwand.

Im Gegensatz zur Verkehrsplanung setzt Mobilitätsmanagement nicht beim „realisierten Verkehr“ an, sondern bereits beim Bedürfnis nach Mobilität.

Nachhaltiges Mobilitätsmanagement kann dabei einen entscheidenden Beitrag zur Lenkung dieser Mobilität in Richtung des Umweltverbundes, bestehend aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr, leisten.

Gründe für Mobilität verändern sich im Laufe verschiedener Lebensphasen. Um den vielfältigen Anforderungen der menschlichen Mobilitätsbedürfnisse im Alltag gerecht zu werden, ist ein maßgeschneidertes und individuelles Mobilitätsmanagement erforderlich. Es kann von unterschiedlichen Akteuren angewandt werden und auf verschiedenen Ebenen ansetzen.

Kommunales Mobilitätsmanagement: Nachhaltige Mobilität am Wohnort ermöglichen

Kommunales oder quartiersbezogenes Mobilitätsmanagement setzt am Wohnort an und sorgt dafür, dass Menschen in direkter Nähe zu ihrem Wohnort passende Mobilitätsangebote zur Verfügung stehen. Besonders bei Mietwohnungen und im urbanen Raum kann Mobilitätsmanagement entscheidende Anreize setzen.

Dabei können vor allem multimodale Mobilitätsmodelle eine Alternative zu teurem Parkraum bieten. Denn um den Anforderungen der verschiedenen Wegezwecke gerecht zu werden, reicht ein einziges Verkehrsmittel nicht aus.

Eine gute Mischung aus ÖPNV-Verfügbarkeit, Carsharing oder -pooling und Bikesharing legt den Grundstein, um den raumintensiven privaten Pkw obsolet zu machen. Gleichzeitig bieten stetig hinzukommende, innovative Konzepte in den Bereichen der Mikromobilität (z. B. E-Scooter, Lasten-Pedelecs) ein enormes Potenzial, um Mobilität am Wohnort neu zu denken.

Mehr Aufenthaltsqualität schaffen durch verändertes Mobilitätsverhalten

Die Vorteile eines nachhaltigen Mobilitätsmanagements im Wohnviertel sind direkt sichtbar. In neuen Quartieren kann durch eine individuelle Stellplatzregelung der kostenintensive Bau von Tiefgaragen eingespart werden, bei bestehenden Quartieren werden Stellflächen neu genutzt. Straßen werden verkehrsberuhigt gestaltet, damit Kinder sicher auf ihnen spielen können. Parkplatzflächen erhalten eine neue Nutzung als Mobilitätshubs für deutlich platzsparendere Verkehrsmittel, werden in Grünflächen umgewandelt oder stehen der Gastronomie als Bewirtungsfläche zur Verfügung.

Der Straßenraum bekommt eine völlig neue Aufenthaltsqualität, dient den Anwohnenden als soziale, gemeinschaftliche Fläche und steht nicht mehr ausschließlich Kraftfahrzeugen zur Verfügung.

Gemeinsam für nachhaltige Mobilität: die Lincoln-Siedlung in Darmstadt

Ein Musterbeispiel für die Umsetzung innovativer Mobilitätskonzepte im Quartier ist die Lincoln-Siedlung in Darmstadt. Hier haben wir gemeinsam mit den Akteuren vor Ort ein siedlungsbezogenes Mobilitätsmanagement entwickelt, das die Mobilitätsbedürfnisse der Anwohner*innen in den Mittelpunkt stellt und gleichzeitig Anreize zur Nutzung nachhaltiger Mobilität schafft.

Kern des Konzepts ist die Einrichtung einer Mobilitätszentrale für die Bewohner*innen der Siedlung, in der sie sich über die zur Verfügung stehenden Angebote informieren können. Das Wohnviertel weist ein erhöhtes Angebot hochwertiger Fahrradabstellanlagen auf, liegt in der Nähe einer neuen Straßenbahnhaltestelle und verfügt über eine gut ausgebaute Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.

Darüber hinaus wird Sharing im Lincoln-Quartier großgeschrieben. Mit dem „mein lincoln mobil“ steht den Bewohner*innen der Siedlung eine Flotte von drei Elektroautos zur Verfügung. Die Fahrzeuge können bis zu vier Stunden pro Woche kostenlos genutzt werden. Ebenso wurden E-Lastenräder zur exklusiven Nutzung der Bewohnerschaft im Lincoln-Quartier bereitgestellt. Gleichzeitig sind für Anwohnende mit Mobilitätseinschränkungen wohnungsnahe Stellplätze vorhanden, wodurch Inklusion gewährleistet wird.

Die Zusammenarbeit der beteiligten Akteure ist entscheidend für die Realisierung nachhaltiger Mobilitätskonzepte

Es ist der offenen Kommunikation und Zusammenarbeit der beteiligten Akteure zu verdanken, dass das Mobilitätskonzept realisiert werden konnte. Die Stadt Darmstadt, das Verkehrsunternehmen heag mobilo und die beteiligten Wohnungsbauunternehmen zogen von Beginn an „an einem Strang“.

Ein solches Mobilitätskonzept war für alle Beteiligten Neuland, sodass intensive Diskussionen geführt werden mussten. Doch die Anstrengungen haben sich gelohnt.

Um Erkenntnisse aus dem Modellprojekt auf andere Gebiete übertragen zu können, wird die Entwicklung der Siedlung durch wissenschaftliche Untersuchungen zum Mobilitätsverhalten der Bewohnenden begleitet. Erste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass die Autonutzung im Quartier sinkt und Verkehrsmittel des Umweltverbundes häufiger genutzt werden.

Betriebliches Mobilitätsmanagement: Arbeitswege umweltverträglich gestalten

Die Fahrt zum Arbeitsplatz, die nächste Geschäftsreise – Arbeitswege sind vielfältig. Auch hier setzt modernes, unternehmensbezogenes Mobilitätsmanagement an. Es umfasst alle Wege eines Unternehmens und zielt darauf ab, sie effizient und nachhaltig zu organisieren. Dazu gehören die Anfahrtswege und Geschäftsreisen der Mitarbeitenden, aber auch Verkehre für betriebsinterne Prozesse sowie die Logistik.

Als Maßnahme des nachhaltigen Betrieblichen Mobilitätsmanagements stellen Betriebe beispielsweise ihren Mitarbeitenden Fahrräder zur Verfügung oder bezuschussen die Anschaffung eines eigenen E-Bikes. Eine weitere klassische Option ist das Jobticket für den ÖPNV, das den Geschäftswagen ersetzt und seit einigen Jahren steuerfrei ist.

Durch die neuen Alternativen werden Anreize geschaffen, den Arbeitsweg mit umweltverträglicheren Verkehrsmitteln zurückzulegen. Außerdem kann eine Ausweitung des Tickets auf den Fernverkehr dafür sorgen, dass Geschäfts- und Urlaubsreisen mit der Bahn unternommen werden. Diese Optionen leisten einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, gleichzeitig sparen Arbeitgeber*innen Geld, da Dienstwagen in der Anschaffung sehr kostenintensiv sind und einen hohen Wertverlust haben.

Betriebliche Multimodalität für flexibles Arbeiten

Wie schon beim quartiersbezogenen kommunalen Mobilitätsmanagement hilft ein breites Angebot an verschiedenen Verkehrsmitteln, den Wunsch nach dem Besitz eines privaten Pkws zu reduzieren und stattdessen auf Verkehrsmittel aus dem Umweltverbund umzusteigen.

Einen innovativen Ansatz für das betriebliche Mobilitätsmanagement bieten Mobilitätsbudgets. Über digitale Tools können Unternehmen ihren Mitarbeiter*innen ein festes Volumen an monetärem Budget, Streckenkilometern oder Kilogramm CO2 zur Verfügung stellen, das für diverse Verkehrsmittel flexibel nutzbar ist und eine multimodale Alternative zum klassischen Jobticket darstellt.

Die Abwicklung kann über einen externen Dienstleister erfolgen, der die Verwendung des Mobilitätsbudgets betreut, alternativ können Arbeitnehmende am Ende des Monats/Jahres „Mobilitätsnachweise“ vorlegen und vom Arbeitgeber erstattet bekommen. Gleichzeitig sind Partnerschaften mit Mobilitätsdienstleistern möglich, um die Nutzung von bestimmten Verkehrsmitteln zu fördern.

Erste Erkenntnisse aus Datenauswertungen von 43.000 Mobilitätsbelegen des Unternehmens MOBIKO zeigen, dass 35% der Mitarbeitenden ihr Budget für ÖPNV-Fahrten ausgeben, 16% nutzen es für Carsharing, 12% für Zugtickets und 11% für Taxifahrten. Erst auf dem fünften Platz finden sich Tankbelege für Autofahrten (10%). Durch den Umstieg von Dienstwägen oder privaten PKW zum Mobilitätsbudget konnten im Jahr 2020 bereits 80 Tonnen CO2 eingespart werden.

Multimodal unterwegs mit Mobilitätsgutschein

Auch in Kooperation mit Verkehrsunternehmen kann ein solches System ausgestaltet werden: die Berliner BVG stellte in einem Pilotprojekt 75 Beschäftigten der Bundesdruckerei einen monatlichen Mobilitätsgutschein zur Verfügung, den sie in der Jelbi-App für alle integrierten Mobilitätsangebote nutzen können. Dazu zählen neben den öffentlichen Verkehrsmitteln der BVG auch Carsharing, Bikesharing, e-Scooter, e-Mopeds, Taxis und Ridepooling – ein breites multimodales Angebot also, um auf den eigenen Pkw verzichten zu können.

Für das Projekt wurde ein Mobilitätshub in unmittelbarer Nähe zur Bundesdruckerei eingerichtet, an dem den Beschäftigten diverse Sharing-Angebote zur Verfügung stehen.

Neben den Vorteilen aus Multimodalität und Flexibilität sorgt ein Angebot wie in Berlin dafür, dass der Abrechnungsprozess stark vereinfacht und der administrative Aufwand reduziert wird. Außerdem können so Anreize zur Effizienz und Umweltverträglichkeit gesetzt werden.

Durch ein nachhaltiges Mobilitätskonzept kann ein Unternehmen sowohl Kosten reduzieren als auch die Zufriedenheit der Angestellten steigern. Das auf diese Art und Weise veränderte Mobilitätsverhalten lebt im Idealfall auch im Alltag der Mitarbeitenden weiter.

Freizeitbezogenes Mobilitätsmanagement: Auch in der Freizeit nachhaltig mobil bleiben

Neben Arbeit und Wohnen sind Menschen natürlich auch in ihrer Freizeit unterwegs. Auch bei freizeitbezogenen Wegen kann Mobilitätsmanagement dazu beitragen, den Modal Split in Richtung des ÖPNV oder anderer Verkehrsträger des Umweltverbundes zu verlagern.

Ein Beispiel, das im Jahr 2021 wie aus einer fernen Zeit scheint, sind Konzerttickets. Viele Veranstalter haben Kooperationen mit Verkehrsverbünden geschlossen, die Eintrittskarten am Tag der Veranstaltung als Fahrausweis im ÖPNV anzuerkennen. So erhalten Besucher*innen einen Anreiz, den Bus oder die Bahn zur Anreise zur Veranstaltung zu wählen. Dadurch wird der Straßenverkehr entlastet und die Umwelt geschont.

Auch während regionsweiten Großveranstaltungen wie dem Kölner Karneval setzt freizeitbezogenes Mobilitätsmanagement Anreize zur Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel. Der VRS bietet Fahrgästen beispielsweise regelmäßig ein vergünstigtes Ticket zur Nutzung zwischen Weiberfastnacht und Veilchendienstag. So kommen die Feiernden günstig und sicher ans Ziel.

Mit Mobilitätsmanagement können entscheidende Anreize gesetzt werden

Das Potenzial für Verlagerungen durch effektives Mobilitätsmanagement ist riesig. 43 % aller Wege in Deutschland werden gemäß MID 2017 mit dem Auto zurückgelegt. Dabei liegen über 43% der Fahrten unter 5 Kilometern Entfernung. Geht man von einer möglichen Verlagerung von nur 1 % aus, ergeben sich deutschlandweit bereits fast 500.000 Fahrten pro Tag. Auf ein Jahr gerechnet ergibt sich ein Verlagerungspotenzial von 172 Mio. Fahrten vom motorisierten Individualverkehr hin zu ÖPNV, Rad und Co.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Mobilitätsmanagement kann wichtige Verhaltensänderungen bewirken, und das in allen Lebensbereichen. Hierbei müssen alle Wegezwecke in diversen Mobilitätsangeboten berücksichtigt werden – vom quartiersbezogenen Mobilitätsmanagement über nachhaltige Mobilität zum Arbeitsplatz bis hin zu umweltbewussten Angeboten in der Freizeit.

Nur, wenn alle Lebensbereiche bedacht werden, kann langfristig nachhaltige Mobilität zur Normalität und Klimaschutz dadurch zur Wirklichkeit werden. Gerne unterstützen wir Sie dabei, individuelle Ansätze für nachhaltiges Mobilitätsmanagement zu entwickeln!

14. September 2021