Pricing von On-Demand Angeboten im ÖPNV: Herausforderungen und Lösungsmöglichkeiten

von Dr. Hendrik Koch

Anforderungen an die Gestaltung von On-Demand Tarifen

Um die verfügbaren großen Nutzerpotenziale von On-Demand-Angeboten/Ridepooling (ODM) als Teil des ÖPNV auch langfristig zu realisieren und die Attraktivität für die Kund*innen zu gewährleisten, spielt die Preisgestaltung der On-Demand-Produkte neben der Angebotsverfügbarkeit eine elementare Rolle.

In der aktuellen noch recht jungen Marktphase dieser neuen Angebote, die in vielen Fällen noch geförderte Pilotprojekte sind, sehen wir dabei für die Tarifgestaltung und das Pricing ein Spannungsfeld von teilweise unterschiedlichen Anforderungen:

  1. Die Nutzeranforderungen im Hinblick auf die preisliche Akzeptanz (auch ggü. Alternativen) und die Einfachheit des Tarifs
  2. Die Erwartungen der Aufgabenträger und Fördergeber hinsichtlich einer positiven Nachfrageentwicklung und damit hohen (preislichen) Attraktivität
  3. Die Notwendigkeit für Verkehrsunternehmen und Betreiber der On-Demand-Verkehre, eine angemessene Wirtschaftlichkeit und Ergiebigkeit zur Deckung der relativ hohen Betriebskosten der Fahrzeuge zu erzielen.

Die Kernfragen der Tarifgestaltung: Anwendungsfälle, Ziele und Integrationsumfang

Um diesen verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden, sind nach unserer Erfahrung mit der Tarifgestaltung von On-Demand Angeboten in verschiedenen deutschen Städten die folgenden Faktoren bei der Tarifentwicklung zu berücksichtigen:

  • Welche Anwendungsfälle/Use Cases und Positionierung des On-Demand Angebot wird angestrebt?
    • Wird das bestehende Linienangebot gegebenenfalls nur zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Gebieten ergänzt?
    • Werden für Bestandsstrecken ergänzende Parallelangebote und/oder Zubringerverkehre zur Anbindung an das bestehende Liniennetz bereitgestellt?
    • Wird das bestehende Linienangebot zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Gebieten ersetzt?
  • Welche Ziele der Marktbearbeitung und Zielgruppen stehen im Fokus?
    • Sollen mit dem On-Demand-Angeboten neue Kund*innen z. B. als Gelegenheitsnutzer*innen für den ÖPNV gewonnen werden?
    • Sollen bestehende Kund*innen durch die Attraktivierung von Bestandsprodukten (z.B. Abos) über Zusatzleistungen gebunden werden?
    • Soll durch die Erweiterung von Bestandsprodukten um On-Demand-Angebote das Gesamtpaket ÖPNV attraktiver (z. B. für Jobtickets) gestaltet werden?
  • In welchem Umfang soll die Integration mit bestehenden ÖPNV-Tarifen und Produkten gestaltet werden?
    • Sollen bisherige Stammkund*innen pauschale Vorteile bzw. Vergünstigungen für On-Demand-Angebote erhalten?
    • Soll der ODM-Tarif zusammen mit dem ÖPNV-Tarif für kombinierte Buchungen z. B. auch für Einzelfahrten mit dem ODM als Zubringer zum Linien ÖPNV gelten?

Zentrale Prämisse für die Tarifgestaltung:

Grundsätzlich gilt, dass sich einige der genannten Faktoren und deren Ausprägungen bei der Tarifgestaltung gleichzeitig berücksichtigen lassen. An anderen Stellen muss für die Tarifgestaltung eine Priorisierung vorgenommen werden oder eine Differenzierung des Tarifmodells erfolgen. In diesem Fall wird kein einheitlicher On-Demand-Tarif, sondern z. B. differenzierte Tarifprodukte für unterschiedliche Anwendungsfälle und Zielgruppen entwickelt[1].

Die wichtigste Prämisse lautet: On-Demand-Angebote sind ein neues, komfortables Produkt innerhalb des ÖPNV und sollten somit auch tariflich als eigenständiges Produkt mit höherer Angebotsqualität mit einem anderen Preis-Leistungsverhältnis positioniert werden. Eine tarifliche Integration in die bisherigen Tarifprodukte ist trotzdem gewährleistet[2].

Bei der Tarifgestaltung sollte, auch wenn gegebenenfalls zu Beginn ein Pilot mit eingeschränkten Bedienzeiten und -gebieten sowie Use-Cases vorliegt, bereits von Anfang an eine Platzierung als eigenes Mobilitätsprodukt mit Ausrichtung auf neue Kundengruppen und klarer Abgrenzung zu Bestandsprodukten des klassischen Flächenzonentarifs gelten.

Zwei konkrete Ansätze für das Pricing

Variante 1: Pauschaler Komfortzuschlag

Ein einfacher Ansatz ist, bestehende ÖPNV-Tarife auch für die ODM-Nutzung anzuwenden und ggf. zusätzlich einen pauschaler oder entfernungsabhängigen Komfortzuschlag (analog zu AST-Verkehren) einzuführen. Dieser Ansatz macht eine eigene Positionierung jedoch schwierig und ist primär sinnvoll für den Anwendungsfall, durch On-Demand-Verkehre bisherige Angebote in Randzeiten oder -gebieten zu ersetzen. Sollte der Fokus auf der Bindung bisheriger Stammkund*innen und der Attraktivierung der Bestandprodukte liegen, ist eine möglichst unkomplizierte Integration ebenfalls der richtige Ansatz. Das ODM-Angebot ohne Aufpreis in bestehende Sortimente zu inkludieren, erzeugt jedoch den Druck zur Steigerung der Ergiebigkeit, um die höheren Kosten zu decken, und auch zur Adaption der EAV-Regeln, was beides nicht einfach zu realisieren ist.

Variante 2: ein eigenständiger ODM-Tarif

Für die langfristige, flächendeckende Bereitstellung von On-Demand-Verkehren zur Ergänzung bestehender ÖPNV-Angebote und zur Gewinnung neuer Nutzergruppen ist ein eigener entfernungsabhängiger ODM-Tarif wichtig. Um diesen digitalen Tarif einfach für die Kund*innen zu gestalten, sind zwei Preisparameter sinnvoll: Ein Grundpreis je Buchung und ein Arbeitspreis je Kilometer für die gebuchte Relation (ermittelt als normierte Strecke, z. B. anhand der Luftlinie zwischen Start und Ziel). Die Berechnung anhand der gefahrenen Streckenkilometer ist bei gepoolten Fahrten nicht leistungsgerecht für die Kund*innen. Eine preisliche Positionierung (siehe Abbildung) zwischen dem klassischen ÖPNV-Tarif und dem On-Demand-Tarif ist dabei empfehlenswert. Die Preiskurve kann dabei je nach der lokalen Zahlungsbereitschaft und Preisniveau der Alternativangebote eher steiler oder flacher verlaufen.

Mögliche Preise nach Kilometern im Überblick

Um Zubringerfahren zum Liniennetz preislich zielführend abzubilden, können Inklusivkilometer im Grundpreis angesetzt werden. Bei einer integrierten Buchung / Fahrt mit Linien-ÖPNV- und On-Demand-Nutzung – sofern die Kund*innen somit ein ÖPNV-Ticket für die Anschlussfahrt hat – kann der Grundpreis für die Zubringerfahrt dann (z. B. um 50%, siehe Abbildung) rabattiert werden, um diesen Anwendungsfall attraktiv im Sinne des Gesamtsystems zu machen.

Sinnvolle Preisanreize können in Form von pauschalen Rabatten für die gemeinsame Buchung mit Mitfahrer*innen (reduzierte Grund- und Arbeitspreise) sowie zur Bindung bisheriger Stammkund*innen für (Premium)Tarifprodukte ein vergünstigten Grundpreis gewährt werden.

Individuelle Preisanreize als Schlüssel zur Bindung von Kund*innen

Zur Nachfragesteigerung und -steuerung sollten jedoch primär kundenindividuelle Ansätze als Preisanreize oder kontingentierte Aktionsangebote für bestimmte Nutzungsgruppen, Zeiten oder Gebiete werden[3]. Dies können Preisvorteile bei Erstanmeldung oder Reaktivierung (nach Zeiträumen ohne Nutzung) in Form von Guthaben oder Gutscheinen für rabattierte Fahrten sein. Auch Mitfahrergutscheine oder Sonderpreise (z. B. eine Fahrt für pauschal 0,99€) zur Kundenbindung oder Belohnung der Loyalität von regelmäßigen Nutzer*innen sind zielführend. Pauschale Rabatte sind in diesem Kontext weniger zielführend.

Fazit: Ein neues Produkt braucht eigene Preisgestaltung. Dabei gibt es verschiedene Umsetzungsformen und Ansätze. Grundsätzlich besteht eine gute Möglichkeit die angeführten Ansätze kombinieren zu können.

[1] Exemplarisch kann ein Tarifprodukt für neue (Gelegenheits-)Kund*innen und ein Produkt für bisherige Stammkund*innen, welches an das Abo gekoppelt ist sein, entwickelt werden.

[2] Viele Anforderungen sind häufig keine Fragen der Tarifgestaltung, sondern eine Frage von Anpassungen bestehender Tarifbestimmungen und deren Abbildung im Vertriebssystem bzw. im Buchungsprozess.

[3] (Auch das ist mit ÖPNV-Tarif kompatibel und kann genehmigt werden, Bsp. Berlkönig).

 

Dieser Artikel ist ebenso in der Publikation Watchlist: Dienstleister für On-Demand-Mobilität unserer Kooperationspartner von Rödl & Partner zu finden.

30. Juni 2022