Shared Mobility 2021: Mobilität zu Zeiten von Corona

von Bianka Bönig

Wie steht es um Shared Mobility zu Beginn des Jahres 2021? Wie hat sich der 2020 noch sehr heterogene Markt der geteilten Mobilität (BSL) weiterentwickelt? Mit dem Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 erlebten nicht nur Wirtschaft und Privatleben herbe Einschnitte, auch die Mobilitätsbranche wurde schwer getroffen. Home Office, Home Schooling und nicht zuletzt Social Distancing führen zu einer Verringerung der täglich zurückgelegten Wege und einem Überdenken der eigenen Mobilität.

Faktoren wie das wahrgenommene Infektionsrisiko haben bei der Wahl des Verkehrsmittels stark an Wichtigkeit gewonnen. Die zentrale Frage ist daher, ob diese Veränderungen von Dauer sind und welche Chancen sie mit sich bringen können.

Das Mobilitätsverhalten der Nutzer*innen hat sich verändert

Seit Pandemiebeginn ist klar: Wer sich mit vielen Leuten auf kleinem Raum aufhält riskiert eine Ansteckung. Dieses Bewusstsein hat sich auch im Mobilitätsverhalten niedergeschlagen. Zu Beginn des ersten Lockdowns im März sank die Mobilität im Bereich Alltag und Freizeit um bis zu 80 % ab. Auch die Wahl der Verkehrsmittel veränderte sich in diesem Zeitraum drastisch. Während der Anteil des öffentlichen Nahverkehrs zunehmend sank, konnten Auto, Rad und Fußverkehr Zuwachs verzeichnen.

Diese Veränderungen könnten andauern; nach einer Studie zum Mobilitätsverhalten der DEVK von Juli 2020 gaben rund 40 % der Befragten an, öffentliche Verkehrsmittel seltener zu nutzen, in der Gruppe der 18 – 24-Jährigen waren es sogar über 50 %. Gleichzeitig wollen viele vor allem das Rad (19 %) häufiger nutzen und mehr zu Fuß gehen (36 %). Auch Autofahren (19 %) werden einige häufiger.

Auch die Daten aus dem mobicor Projekt von infas, WZB und motiontag im Auftrag des BMVI von Ende 2020 bestätigen diese Entwicklung, es gibt eine nachhaltige Verschiebung vom ÖV hin zu Rad und MIV. (infas)

Umsatzeinbrüche in der ganzen Mobilitätsbranche

Diese Entwicklungen im Mobilitätsverhalten der Nutzer*innen haben sich auch auf die Branche der shared mobility ausgewirkt. Einbrüche von bis zu 80 % verzeichneten viele Unternehmen der Mobilitätsbranche zu Beginn des ersten Lockdowns, betroffen war somit nicht nur der öffentliche Personennahverkehr. „Geschlossene“ Transportmittel waren dabei stärker betroffen als „offene“, wie Scooter und Fahrräder. Gründe waren neben der insgesamt reduzierten Mobilität vor allem die Sorge, sich anzustecken.

Die Unternehmen reagierten und setzten auf verstärkte Hygienemaßnahmen und wo möglich Angebotsausweitungen zum Entzerren. Bereits im dritten Quartal erholten sich die Zahlen etwas und lagen z.B. beim Carsharing Anbieter SHARE NOW auf etwa 75 % des Normalwertes. (movmi)

Carsharing: Mehr Kunden, weniger Umsatz

Betrachtet man das Jahr 2020 in Gänze aus Sicht des Carsharings, so ist die Gesamtzahl der Nutzer*innen im stationsbasierten und freefloating Sharing trotz teilweise erheblicher Buchungs- und Umsatzrückgänge um 25,5 % auf 2.874.400 registrierte Kund*innen gestiegen. Die Zahl der Anbieter, verfügbaren Orte sowie der Flottenbestand bleiben im Jahr 2020 konstant. In insgesamt 855 Städten und Gemeinden finden sich die insgesamt 26.220 mietbaren Fahrzeuge.

Der Bundesverband Carsharing folgert aus diesen Entwicklungen, dass sich das Carsharing als multimodale Ergänzung zum öffentlichen Verkehr etabliere und sich damit in einer guten Ausgangslage befinde, ein starker Motor für die Verkehrswende zu sein. Trotzdem drohe durch die Pandemie eine Verlangsamung des Ausbaus und eine langfristige Schwächung des Sharing-Angebots.

Um den Fortbestand des Angebots auch im von Schließungen bedrohten ländlichen Raum und am Stadtrand zu sichern, sei nun die Politik gefragt. Neben der Förderung von Standorten der Peripherie und der Unterstützung von Kommunen solle es einen „Sharing-Zuschuss“ für private Haushalte geben und der Zugang zum System, beispielsweise durch die Entwicklung eines digitalen Führerscheins, erleichtert werden. (Bundesverband CarSharing)

Bike Sharing wächst nach erstem Lockdown

Ähnlich gestaltet sich die Lage im Bike Sharing. Nach dem ersten Schock im Frühjahr erholte sich die Lage für viele Anbieter nicht nur, sie konnten sogar Wachstum verzeichnen. So zum Beispiel das Leipziger Unternehmen Nextbike, welches in über 80 deutschen Städten vertreten ist. Sie verzeichneten im Vergleich zum Vorjahr ein Wachstum ihrer Nutzer*innen um 50 Prozent.

Sogar für die eher schlechten Wintermonate erwartet das Unternehmen vergleichbar hohe Nutzungszahlen. Dazu anregen soll unteranderem eine neue Flatrate mit dem Titel „BeatCorona“, bei dem Nutzer drei Monate lang jede Fahrt bis zu 60 Minuten kostenlos unternehmen. (nextbike)

Der Markt der E-Scooter wächst, zumindest in einzelnen Städten (z.B. Hamburg)

Wie auch viele Bike Sharing Anbieter, scheinen auch die Verleiher von E-Scootern zu den Profiteuren der Pandemie zu gehören. Zu Beginn nahmen viele der Anbieter ihre Fahrzeuge vom Markt, doch die Branche erholte sich schnell, zumindest in Hamburg. Die dortigen Anbieter liegen einer dpa-Umfrage zufolge auf Vorjahresniveau oder sogar darüber.

Neben der Zahl der Nutzer*innen steigt auch die Fahrtdauer von durchschnittlich 9,7 Minuten um 34 % auf 13,1 Minuten. Diese seien allerdings vor allem Freizeitfahrten gewesen. Auf die eine oder andere Weise scheint sich das System der ausleihbaren Scooter in den meisten Städten jedoch zu etablieren. (t3n)

On-Demand Verkehr im ersten Lockdown auf Minimum reduziert

Bei der Betrachtung von On-Demand Verkehren zeigt sich ein gemischtes Bild. Zu Beginn der Pandemie und insbesondere im ersten Lockdown wurden die meisten On-Demand-Verkehre ganz oder teilweise eingestellt. Mitunter suchten die Anbieter nach alternativen Geschäftsmodellen und konzentrierten sich auf die Beförderung von medizinischem Personal zu Sonderkonditionen oder boten Kurier- und Lieferdienste an.

Der in Hamburg verkehrende On-Demand Service Moia stellte seinen regulären Betrieb zu Pandemiebeginn für zwei Monate nahezu komplett ein und bot nur noch nächtliche Fahrten an. Ähnlich handelte der BerlKönig, das On-Demand Angebot der BVG, und setzte seinen regulären Betrieb für zwei Monate aus. Währenddessen konzentrierte der Berliner Anbieter sich auf die Beförderung von medizinischem Personal, insbesondere in den Nachtstunden.

Weltweit nahezu ungebrochenes Wachstum im On-Demand Verkehr

Trotz dieser Einschränkungen wuchs der Markt der On-Demand Ridepooling Angebote weltweit im Jahr 2020 mit rund 130 neuen Projekten fast so stark wie im Vorjahr (2019: 150 neue Projekte). Betrachtet man die Angebote genauer, so lässt sich zunächst feststellen, dass es sich bei dem Großteil um Pilotprojekte mit geringer Flottengröße und begrenzter Laufzeit handelt, deren Übernahme in den Regelbetrieb alles andere als gewiss ist.

Dass Tests mit kleinen Flotten nicht unbedingt zu belastbaren Ergebnissen führen müssen, zeigt eine Studie zu On-Demand Angeboten im Münchener Metropolraum. Diese stelle fest, dass On-Demand Angebot mit großen Flottengrößen hohe positive Effekte auf den Verkehr der Metropolregion habe, im Gegensatz zu kleinen Flotten.

Zurzeit dienen On-Demand Ridepooling Angebote, vor allem solche, die im öffentlichen Sektor angesiedelt sind, dazu, ineffiziente, starre Buslinien zu ersetzen oder bereits bestehende Rufbusse zu digitalisieren. Beides zielt auf das Füllen von Lücken im bestehenden System ab. On-Demand Ridepooling kann allerdings breiter eingesetzt werden und somit eine optimale Ergänzung zum bestehenden System bieten.

Der öffentliche Verkehr kann so zu einem nachhaltigen, attraktiven und multimodalen Angebot weiterentwickelt werden und mit dem in großen Teilen weiterhin dominierenden motorisierten Individualverkehr konkurrieren. Hierzu bedarf es einer hohen räumlichen Abdeckung, ansprechenden Betriebszeiten sowie einer großen Verfügbarkeit des On-Demand Angebots. Mit einer abgestimmten Mischung aus Pull- und Push-Faktoren kann der Erfolg des Ridepooling Systems gesichert werden. (Foljanty)

Digitalisierung wird für shared mobility Anbieter zum Must-Have

Ein weiterer, wichtiger Aspekt, welcher von der Pandemie beeinflusst wurde, ist die Digitalisierung. Videokonferenzen ersetzen die Meetings im Büro, Essensbestellungen und Online-Shopping den Weg in die Innenstadt: Getrieben durch Home Office und Social Distancing etablieren sich digitale Channel zunehmend. Kontaktlose Buchung und Bezahlung gehören bereits jetzt für viele zum Standard in vielen Branchen.

Gemäß einer Studie zur Auswirkung der Pandemie auf das Mobilitätsverhalten von McKinsey wird sich die Nutzung digitaler Channel auch nach der Pandemie weiter etablieren und dabei ebenfalls Auswirkungen auf die Mobilitätsbranche haben. An dieser Stelle setzt shared mobility bereits an: Durch die digitalen Zugangs- und Zahlungsmöglichkeiten, in der Regel via App, erfüllen die meisten Angebote die Anforderungen an eine kontaktlose Übernahme der Fahrzeuge, was ihnen in der Pandemie einen Vorsprung verschafft.

Potenziale von Shared Mobility in Post-Corona-Zeiten

Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und shared mobility wieder ansteigt, sobald die Pandemie unter Kontrolle ist, denn Nachhaltigkeit wird ein wichtiges Thema bleiben. Die Verkaufszahlen von Privat-PKW sinken seit 2019, viele überdenken Alternativen zum privaten Auto.

Mit der richtigen Strategie können diese Tendenzen in den kommenden Jahren in die richtige Richtung gelenkt werden. Die Digitalisierung des öffentlichen Verkehrs sowie Kooperationen zwischen Verkehrsunternehmen und Anbietern von Mikromobilität können dabei eine wichtige Strategie sein, um Alternativen aufzuzeigen und das Nutzerverhalten zu lenken. Dazu zählen vor allem Angebote der integrierten Mobilität, Mobilitätsplattformen oder den bereits angesprochenen On-Demand Verkehren auch andere Ansätze, wie Mobilitätsbudgets, als Ergänzung zu klassischen und eher starren Tarifen und Verträgen.

Dies bemerkten einige Verkehrsunternehmen schon vor Beginn der Pandemie; so setzt neben der Hamburger Hochbahn, der BVG auch das Aachener Verkehrsunternehmen ASEAG bereits seit 2019 auf Kooperationen mit Anbietern aus dem Bereich der shared mobility. Auch die MVG aus München hat aktuell die neue, übergreifende Mobilitäts-App MVGO zur Integration verschiedener Mobilitätsdienste gelauncht (MVG).

In Anbetracht dieser Entwicklungen stellen sich insbesondere Besteller*innen und Betreiber*innen die Frage, wie sie ihre Angebote auch in Zukunft attraktiv und modern gestalten können. Die Entwicklung innovativer und digitaler Mobilitätsangebote und die Verknüpfung dieser mit den konventionellen ÖPNV-Leistungen sind Teil der Herausforderungen, welche die Branche in Zukunft meistern wird. Das sind die Fragestellungen, die wir auch weiterhin mit unseren Kunden in Zukunft gemeinsam angehen werden.

05. März 2021